Legendär bleibt der Vergleich mit dem Geflügelzüchter
Er war ein Märchenonkel im besten Sinne. Immer dann, wenn die Pflicht gewissenhaft erledigt war, konnte Kurt Reich den Schalter schnell umlegen. Vom akribisch und unter Zeitdruck oft hoch konzentriert arbeitenden Journalisten zum lebensfrohen Privatmenschen, der so viel zu erzählen hatte aus seinem langen und – wie er es selbst oft nannte – „bewegten Leben“. Dieses Leben ist im Alter von 94 Jahren zu Ende gegangen. Kurt Reich, der frühere Sportchef der Allgäuer Zeitung und Mitbegründer des VDS-Regionalvereins Augsburg-Allgäuer Sportpresse, starb am 8. April 2022 im Seniorenheim in Waltenhofen bei Kempten. Sein Wunsch, er wolle wie sein Vater 104 Jahre alt werden, sollte unerfüllt bleiben.
Der gebürtige Schlesier, der in Berlin aufwuchs und sich dort die berühmt-berüchtigte Berliner Schnauze aneignete, hatte nicht nur viele, sondern besonders spannende Anekdoten auf Lager. Wie ein professioneller Humorist gab er sie stets pointiert zum Besten. Der Autor dieser Zeilen dachte lange, Kurt Reich sei der Erfinder des Schenkelklopfers, denn seine Geschichten beschloss er gerne damit, selbst laut loszulachen und seiner Freude mit einem Hieb auf den eigenen Oberschenkel oder auf die Schulter seines Nachbarn Ausdruck zu verleihen. Sein Humor und seine Lebensfreude waren ansteckend. Wer ihn kannte, ahnt, wie blumig er davon erzählen konnte, dass er als stellvertretender Kurdirektor von Oberstdorf für das erste öffentliche WC unterm Nebelhorn sorgte, wie er als ehrenamtlicher Vorsitzender des TSV Durach (1967 bis 1975) anrüchige Aborte durch ordentliche Umkleiden ersetzte und Zuschüsse für Vereine und Verbände gerne mal bei launigen Schafkopfrunden „auskartelte“.
Reich arbeitete 28 Jahre lang als leitender Sportredakteur der Allgäuer Zeitung in Kempten. Wer jemals mit ihm zusammenarbeitete, wundert sich noch heute darüber, mit welch fotografischem Gedächtnis er die WM- und Olympia-Ergebnislisten der letzten 50 Jahre wiedergeben konnte. Er berichtete als Reporter von zahlreichen Großveranstaltungen und mischte auch sportpolitisch kräftig mit. 1972, in einer schummrigen Hotelbar im japanischen Sapporo, wurde erstmals die (Schnaps-) Idee von Olympischen Winterspielen im Allgäu geboren. Zunächst mit großem Ehrgeiz, später eher als PR-Gag rühmte sich die Region als potenzieller Olympia-Kandidat. Kurt Reich rührte kräftig mit an der Werbetrommel. Zweimal organisierte Reich auch das Forum Nordicum in Oberstdorf, ein Treffen internationaler nordischer Skisport-Journalisten.
Heute unvorstellbar: Reich führte neben Sportredaktion und Familie 24 Jahre lang auch den Allgäuer Skiverband. Der Nachwuchs lag ihm besonders am Herzen. Er pochte stets darauf, dass die Schulen im Allgäu wenigstens einmal pro Winter einen Skitag veranstalteten. Möglichen Interessenskonflikten zwischen Verbandswesen und Journalismus ging er stets sehr geschickt aus dem Weg. 1987 bei der Nordischen Ski-WM und bei zahlreichen Weltcups in Oberstdorf fungierte Reich als Pressechef.
Ein Satz begleitete ihn sein halbes Leben. Als er 1970 gefragt wurde, ob er sich das Amt des Skiverbandspräsidenten überhaupt zutraue, wenngleich er doch selbst nie auf Skiern stand, antwortete Reich trocken: „Ja klar, der Vorsitzende eines Geflügelzuchtvereins muss ja auch keine Eier legen können.“ So war Kurt Reich. Schlagfertig, geistreich und voller Humor.
Und zu Siegerehrungen am Berg ließ er sich einfach mit dem Skidoo fahren… Clever.